Ich bekam keinen Bissen herunter in der „Nummer 31“, der Kult-Pizzeria gleich gegenüber dem geschichtsträchtigen Jugendklubhaus „Phillip Müller“, in dem wir in ein paar Minuten im Vorprogramm der Brandenburger Punk-Legenden Addicted Giesela und Bloody Bones auftreten sollten - genau dort, im kleinen Saal, in dem Wochen zuvor eine Band namens Subway To Sally vor nur einer Handvoll Menschen eines ihrer ersten Konzerte gegeben hatte, aber eben auch dort, wo eine andere Formation in einem gut gefüllten Hauptveranstaltungssaal Verachtenswertes absonderte und dafür mit Sprechchören und Flaggen aus einer Zeit stammend, in der ich ums Verrecken nicht gelebt haben und die ich so nie erfahren will, empfangen und gefeiert worden sind.

Es war eine Zeit, in der Hoffnungen und Wünsche zerstört worden sind, eine Zeit der Orientierungslosigkeit, des Verschwindens vermeintlicher Sicherheiten, der großen Enttäuschungen - und der Gewalt. Ich selbst war auf dem Weg von einer persönlichen Krise in die nächste, selbst durchtränkt von Alkohol und Wut, aber immer auf der Suche nach einer „besseren Welt“. Als Tinnef, Terror, Hamster und ich unter dem Namen „Hard Facts“ die Bühne betraten, vor vielleicht fünfzig Punks und Jugendlichen aus der alternativen Szene, versuchten wir, mit unseren bescheidenen Mitteln dem Wahnsinn dieser Zeit etwas entgegenzusetzen, auch wenn wir selbst kaum verwurzelt gewesen sind, weder in Musikerkreisen, noch im sonstigen Leben. Wir konnten nicht viel, aber das machten wir mit Herzblut. Es tat scheinbar gut, meine innerste Rebellion nach außen zu tragen, gegen alles und jeden. Was sich 1994 im „Phillip Müller“ und auch oft danach noch entlud, waren die Aggressionen eines Gegängelten, Bevormundeten, eines an den Ungerechtigkeiten des Systems und seiner Helfer erstickenden Jugendlichen, eines Gedemütigten, der sich auf naiv-revolutionäre Art ein Stück weit befreien wollte.

Ich bin in dieser Zeit jemand gewesen, der mit der RAF und den Autonomen sympathisierte und doch von ihnen abgeschreckt gewesen ist - ein Mensch zwischen Punk und Hippie auf der Suche nach innerem und dem Weltfrieden, ohne zu realisieren, ein Teil des Krieges zu sein - ein Jemand, der selbst hier und dort zum Angriff aufrief. Dennoch sah ich unsere Lieder lediglich als Spiegel, als Momentaufnahmen jener Zeit, welche die Namen „Hass und Gewalt“ „Wach auf!“ und „Produkte des Wahnsinns“ trugen. Es ist vom aufkeimenden Faschismus geredet worden, doch war er für mich schon lange und viel früher vorhanden gewesen, auch wenn das Land sich bis zu seinem Untergang noch ein sozialistisches genannt hatte...

Diese Dinge sehe ich, wenn ich an meinen ersten Auftritt denke, ihn noch einmal Revue passieren lasse, soweit es meine Erinnerungen hergeben. Ob sich in der Welt etwas geändert hat, weiß ich nicht. Vielleicht ist sie ein wenig kälter geworden, und dennoch finde ich in ihr wertvolle Menschen, die mir Oasen des Glücks und der Hoffnung bescheren. Ich glaube, mich selbst verändert und weit von meinem inneren Extremen entfernt zu haben und ich denke, dass ich ein wenig versöhnlicher geworden bin, in der Art meiner Texte, auch wenn ich immer noch manches gerne beim Namen nenne. Es sind nahezu die gleichen Dinge wie damals, die mich heute noch genauso bewegen, von denen ich jedoch nicht mehr in die Verzweiflung getrieben werden möchte, wie einst der junge Schreihals, der so gern ein Sänger gewesen wäre.

Zwanzig Jahre auf den Bühnen heißt für mich heute auch, in dieser Zeit mit Freunden unterwegs gewesen zu sein, mit unvergessenen Weggefährten in unglaublich intensiven Momenten. Sie wiegen heute so viel mehr, als das Chaos, die Depressionen und all die Dramen, die unweigerlich eben auch zu dieser Zeit gehören. Ich bin offener geworden, und das verdanke ich Menschen, die im richtigen Moment in mein Leben getreten sind. Es gab einige Abschiede in dieser Zeit, schleichende wie abrupte, von Menschen, die im nie ruhenden Fluss der Zeit einen anderen Weg genommen haben - oder in ihm untergegangen sind. Hin und wieder nehme ich mir die Zeit, ihnen in Gedanken mit einem Lächeln zu begegnen, sie aber nicht mehr zu vermissen oder gar wütend auf sie zu sein. Alles hat eben seine Zeit. Heute freue ich mich auf neue und alte Weggefährten, musikalisch wie anderswo, und ich freue mich auf die Menschen, die mein Leben bereichern. Es war gut und richtig gewesen, vor zwanzig Jahren böse und wütend aufzutreten, weil ich es genauso empfunden habe. Nun kann ich, wenn sich dieser Kerl einmal wieder in mir meldet, ihm mit einem „Hallo alter Freund, wie geht‘s denn so?“ begegnen und nachdem er mir das erzählt hat, verschwindet er auch recht schnell wieder. Ich bin also kein Schreihals mehr, aber werde sicher auch kein Sänger in klassischem Sinne. Was es dazwischen noch geben könnte, lässt mich neugierig bleiben. Die Musik hat mich nie ruhen lassen und sie wird das sicher weiterhin nicht tun, in welcher Form auch immer ich mich ihr in Zukunft widmen werde. Von mir aus darf es gerne noch einmal zwanzig Jahre lang auf die Bühne gehen, gerne ähnlich intensiv, gerne öfter als in den letzten Jahren. Nicht um Preise abzuräumen oder Pokale zu gewinnen, nicht um irgendwo dazuzugehören, sondern um der eigenen Identität endlich wieder Raum zu geben. Ich freue mich auf Menschen, die Freude am Musizieren haben und meinen Texten Leben geben wollen - für sich selbst, für die Menschen im Publikum, für das Gefühl intensiven Zusammenseins.

Um hier angekommen zu sein, war dieser erste Auftritt im Sommer 94 einer der wichtigsten. Danke dafür!

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