Udo Lindenberg, Hermann Hesse und ich...

Der Suhrkamp-Verlag sucht Worte über Begegnungen mit Hermann Hesses Werken, Udo Lindenberg sucht innovative Bands abseits des Mainstreams. Meine Gedanken dazu:

Die Udo Lindenberg-Stiftung schreibt alle zwei Jahre den Panikpreis aus. Zu Ehren Hermann Hesses sucht sie junge Texter und Musiker, die nicht mit der Masse marschieren, die provokant schreiben und sich nicht an Mainstream und Casting-Wettbewerbe anpassen. „Das bin ich! Die suchen mich...“, dachte ich und habe mich mit einer Band beworben, die musikalisch eigensinnig und dazu fähig war, besondere Stimmungen zu erzeugen und Gefühle zu transportieren. Natürlich: Ich provozierte, sprach unangenehme Wahrheiten aus, zeigte auf der Bühne mein Innerstes. Ganz klar, dass die mich suchen...

Vor allem aber bin ich immer einen eigenen, von meinem Umfeld oft als seltsam empfundenen Weg gegangen, existierte abseits von Medien, Plattenverträgen, Werbung und kommerziellem Erfolg. Ich spielte damals in einer Band namens „Fauxpas“, weil ich mich für einen solchen hielt. Vielleicht hatte ich deshalb mit einem Partner das neue Projekt ins Leben gerufen, für den Markt konzipiert, in der stillen Hoffnung, dass es zur Band wachsen würde, in der ich ein Zuhause fände und die obendrein erfolgreich wäre. Selten aber habe ich mich irgendwo heimisch gefühlt, war wohl als Kind schon Suchender, der Bücher nahezu verschlungen hat, vielleicht auch aufgrund einer gewissen Einsamkeit, in der ich viele Antworten auf meine Fragen haben wollte und die mit einer ewig ungestillten Sehnsucht einher ging. Als diese Sehnsucht sich irgendwann in Suchtverhalten niederschlug, las ich nicht mehr, ließ mich wie von Fremden steuern und gab mich abhängig machenden Rauschmitteln hin, an denen ich fast gestorben bin.


Nur ganz allmählich spürte ich meine eigene Kraft und es war Stephan Weidner, Songschreiber und Texter der Böhsen Onkelz, dessen Verse mich angesprochen haben. Sie waren zugleich meine ersten Begegnungen mit Hesse, denn auch der Kopf der Frankfurter Band bediente sich an dessen Repertoire, an den kleinen Wahrheiten, den Sätzen, die den Schlüssel zur wundervollen, eigenen Persönlichkeit darstellen können. In dieser Zeit machte ich lange schon selbst Musik, textete und sang von meiner Sehnsucht. Ich kaufte mir den "Steppenwolf", habe ihn nur angelesen und dann wieder fortgelegt. Die Zeit für ihn war noch nicht reif gewesen. Viele Jahre kamen Texte und Lieder aus meinem Innersten, sprachen Menschen an, doch war ich unfähig gewesen, das Geschenk der eigenen Worte, die während des Schreibens oft nur kurz in mein Bewusstsein drangen, für mich selbst zu verinnerlichen. Ich hätte meine Worte nicht als Ventil nutzen sollen, sondern mir nur glauben müssen, nur lesen sollen, was dort jedes Mal so plötzlich geschrieben stand. Auf Konzerten gab ich meine Worte weiter, Menschen sagten mir, dass sie sich von ihnen berührt fühlten, nur schaffte ich es nie, mich selbst in den Arm zu nehmen, mich liebevoll zu streicheln und meinem eigenen Gesagtem zuzuhören. Der Rebell in mir führte, bis auf seine kurzen Momente auf der Bühne, in denen er in Erscheinung trat, ein trauriges Dasein.

Später merkte ich, dass es viel schwieriger ist, Hesses Gedanken umzusetzen, als sie nur zu verstehen. Die Sehnsucht nach mir selbst und nach der Erfüllung meiner Bedürfnisse, wie nach Liebe, wie nach dem ganzen, ehrfürchtigen Spüren der Welt und ihrer Dinge, die so wunderbar sind und die wir nicht verstehen, sondern nur wirken lassen müssten, steigerte sich nahezu ins Unermessliche. Die Gedanken bis zum unweigerlichen Schluss zu Ende zu denken, zu erkennen, wer ich wirklich bin und mich an meinen Erkenntnissen weiter zu entwickeln, ist der beschwerliche Weg, den ich schließlich eingeschlagen habe und der mich zunehmend verzweifeln lässt, weil ich so viele schreckliche Dinge um mich herum sehe. Ein Weg, der mich aber auch hoffen lässt, weil ich mit meiner Genesung ein Stück zur Besserung der Zustände in dieser Welt beitrage. Würden wir uns besser verstehen, würden wir wissen, warum wir so gierig, so hassend, so maßlos sind und würden wir endlich den Tod akzeptieren können, dann würden uns klar werden, woher unsere Sucht nach Ersatzbefriedigungen herrührt. Es würde erkennbar, dass wir eigentlich unsere grundsätzlichen Bedürfnisse nach Liebe und Anerkennung vermissen und wir könnten durchaus in einer weitaus friedlicheren Welt leben. Es ist Hermann Hesses Pazifismus, der mich tief beeindruckt hat, der meinen eigenen, immer vorhandenen, aber mitunter weit vergrabenen, wieder stärkte und mich zu dem stehen ließ, was in mir ist. Das fing mit der Korrektur meiner eigenen Lebenslüge an, mit dem Aussortieren der mich krankmachenden Dinge und Menschen, deren Verhaltensweisen nicht auf Liebe, Verständnis und gegenseitiger Achtung stützten. Mein Körper gibt es mir jedes Mal zu verstehen, wenn ich mich mit den für mich unpassenden Menschen umgebe, wenn mein Kopf wieder einmal (ir)rational denken will. Er behütet mich davor, mich mit denen einzulassen, die mir nicht gut tun. Mache ich es dennoch, zwingt er mich durch Krankheit in die Knie. Dann muss ich schreiben, wie Hesse einst, schreibe Lieder, dichte und erzähle, Lyrik und Prosa zuerst für mich selbst, und es weckt in mir den unbändigen Antrieb, endlich wieder Bühnen zu erklimmen. Wenn ich schon die Welt nicht retten kann, möchte ich es doch wenigstens mit mir selbst tun. Ich nähere mich mir selbst an, immer mehr, in ganz kleinen Schritten und ich danke Hesse und meiner eigenen Gabe, die ich nicht mehr als Fluch, sondern als Geschenk und treuen Begleiter sehe. Nur in der Schrift finde ich meine Wahrheit, erreiche die Ebenen in mir, die vielleicht gerade noch für Musik zugänglich sind, die Schleusen öffnet und neue Wege freigibt. Ich finde dort Gedankengänge, die mir im Gespräch verwehrt sind, die sich aber immer weiter verfestigen und welche die Suche zu mir selbst erträglicher gestalten, vor allem, wenn meine Worte auch von anderen angenommen werden, wenn ich Verständnis finde, wenn ich Menschen Freunde nennen kann. Auf der Suche nach meiner Persönlichkeit erkenne ich mich in immer deutlicher gezeichneten Wörtern, in einer Palette von Farben, die jenseits von schwarz und weiß liegen, der Extreme, in denen ich mich in vielen Jahren bewegt habe und bewegen musste, weil mir gutmütige Menschen und Worte wie die Hermann Hesses gefehlt haben. Ich begann irgendwann damit, selbst Bücher zu schreiben, spürte den Gang des Siddhartha in mir, dessen Gedanken ich folgte, ohne ihn bis dahin jemals gelesen zu haben. Erst viele Jahre später wurde mir bewusst, dass wir ähnliche Wege bestritten.

Die ersten, wahrhaften Begegnungen mit Hesses Worten sind die ausgewählten Stücke des Udo Lindenberg in dem von ihm zusammengestellten Band „Mein Hermann Hesse“. Es waren vorerst einzelne Sätze, die mich angesprochen haben. Später entstanden ganze Wortgemälde, denen ich mich nicht mehr entziehen konnte. Ich erlebte Hesse endlich bewusst und nicht „nur am Rande“, bin immer noch bereit für seine Worte und finde auch wieder eigene. Sie lassen das Bild von mir noch klarer erscheinen und ich erkenne, dass ich weder Hermann Hesses, noch Stephan Weidners oder Udo Lindenbergs Leben leben kann und es letztendlich auch nicht mehr will. Diese Gedanken waren eine wirkliche Befreiung, mehr als jeder krampfhafte Gang zum in irgendeinem Mysterium verschollen geglaubten Glück, das außerhalb meiner selbst bestehen sollte. Das Leben gegen aller Widerstände in einem kränkenden Umfeld in die eigene Hand zu nehmen, ihm eine Richtung zu geben, hat erst einmal Anspannung, aber zunehmend auch eine tiefe innere Befriedigung ausgelöst, die in immer längere Phasen der inneren Ruhe übergegangen ist. Auf meiner Suche habe ich eine wohltuende Ausgeglichenheit zwischen Tun und Rasten gefunden und ich bin bemüht, diese Balance zwischen wohltuenden Anstrengungen und belebenden Ruhepolen zu halten. Schlecht geht es mir heute oft nur noch, wenn ich an die Verletzungen der Vergangenheit denke. Meist ist es nur noch der Blick nach hinten, der Schmerzen bereitet. Ich bin neugierig, wer ich bin, bin offener für meine Zukunft als je zuvor. Neuen Verletzungen wirke ich sofort entgegen, und fehlt mir einmal die Kraft oder die sofortige Erkenntnis, dass eine Begegnung oder ein Umstand mir weh tut, verarbeite ich ihn durch meine Schrift und korrigiere mich im nächsten Zusammentreffen mit dem schmerzauslösenden Verhalten des Gegenübers. Mancher Schmerz allerdings muss gespürt werden, wie der Verlust eines lieben Menschen. Aber ich muss mich nicht mehr vorsätzlich verletzen lassen und darf die nicht zu weit in mein Leben lassen, die mit meinem wahren Ich wenig anfangen können. Das Schreiben dieses Artikels gerade ist mir eine Wohltat. Ich erkenne mein Verhältnis zu Hesse, berühre ihn, und werde dadurch ich selbst. Nur ich bin ich, ich bin ich selbst und kein Plagiat Hesses. Er fungiert als Mentor, den ich kritisch betrachte, wie er selbst ein Kritiker, ein Zweifler war. Das wiederum eint uns.

Das eingangs erwähnte Hermann Hesse-Festival der Udo Lindenberg-Stiftung, das unter einem Motto stattfindet, das ich für sehr unterstützenswert halte, ist sicher eine gute Sache,. Für einige Momente lang wäre ich sogar gerne dabei gewesen. Jedoch habe ich beschlossen, selbst bei einer Nominierung durch die Jury nicht dorthin zu reisen. Es wäre ein fauler Kompromiss für einen netten Eintrag in die persönliche Vita, ein Arrangement mit einem Teil meines Lebens, den es für mich so nicht mehr gibt. Ich habe mein inneres Kind, das so erfolgreich zerstört worden ist, an die Hand genommen und hege keinen Groll mehr in mir. Meine Wut ist hinausgeschrien, ein kleiner Rest in meinen Eingeweiden versickert. Der flüchtet sich glücklicherweise nur noch ganz selten und dann nur kurzzeitig in Extreme. Wir gehen unsere Wege weiter, im täglichen Wirrwarr der Suchenden und Findenden, haben uns zwar kurz und zaghaft berührt, aber es hat nur zu einer zeitlich begrenzten Verschmelzung gereicht, die mitunter tief, aber nicht von Dauer gewesen ist und nur für wenige Begegnungen von Individualisten gereicht hat.

Nein, das wäre nicht ich und somit nicht im Geiste Hermann Hesses gewesen, aus Prestigegründen an diesem Festival teilzunehmen. Ich habe mich noch nie für ein Casting beworben und möchte es in diesem Leben auch nicht mehr tun, selbst wenn ein guter Gedanke dahinter steckt. Tägliches Arbeiten an meinem Traum, an der Verwirklichung meines Ichs, siedle ich weitaus höher an, als ein kurzfristiges Stehen im Rampenlicht. Ich hoffe, ich bin zum letzten Male an Unausgesprochenem gescheitert. Offenheit wird mich nicht gänzlich vor dem Scheitern bewahren, aber wenn ich scheitere, dann will ich es gut und ohne Gewissensbisse tun. Man selbst zu bleiben, sich nicht verbiegen zu müssen, nicht Kompromisse einzugehen, die keine sind, wird meine eigene Unzufriedenheit eindämmen. Eine klare Linie wird mich und andere vor neuen, vorhersehbaren Enttäuschungen bewahren. Viel zu intensiv träume ich, bin zu anstrengend, zu fordernd, wenn es um die Erfüllung geht. Ich halte die Türen offen und hoffe, dass auch mich jemand einlässt und ich freue mich über die Begegnung mit Menschen, die ich stetig erleben darf, die ich selbst berühren kann und die bereit sind, diesen Weg mit mir zu gehen. Ich habe Hoffnung und gebe dem Steppenwolf eine weitere Chance...

 



Bildquelle: Udo Lindenberg Stiftung

Back to top