Gestern hatte ich die Gelegenheit, einer sehr bewegende Theatervorstellung beiwohnen zu dürfen, in der ein Thema inszeniert wurde, das mich seit Jahren immer wieder beschäftigt und mich auch aus verschiedenen persönlichen Gründen mehr oder weniger an jenen grausamen Ort bindet, der in verschiedenen Gesellschaftssystemen Stätte großen Unrechts und staatlich organisierten Verbrechens geworden ist.
Das Stück stellte einen Teil des Lebens und das Verurteilen und Sterben des Max Timmel dar, der 1944 an der Stelle der Aufführung, im Zuchthaus Brandenburg, durch das Fallbeil hingerichtet worden ist - ein Schicksal, das er mir mit zweitausend Menschen teilte. Timmels "Verbrechen" bestand daraus, in seinem Kollegenkreis Briefe seines Sohnes von der Front vorgelesen zu haben, in denen dieser seine Gedanken und vor allem seine Frustrationen äußerte. Denunziert worden ist er von einer Frau, deren Liebe er nicht erwidert hatte. Diejenigen, die diese Geschichte derzeit so eindrucksvoll darstellen, sind Schüler einer Brandenburger "Problemviertel"-Schule, deren bloße Namensnennung manch Gymnasiallehrer zu abwertenden Gesten verleitet. Vielleicht ist es bezeichnend, dass gerade junge Menschen aus einer Einrichtung wenig Privilegierter imstande sind, sowohl im Ausdruck als auch im Inhalt mit klaren Worten und durchdachten künstlerischen Details in diesen Maßen zu berühren. Auch unsere Zeit hat ihre Erniedrigungen. Die soziale Herkunft entscheidet oft maßgeblich über die Zukunftsaussichten und gerade darin sehe ich große Gefahren. Dass diese Jugendlichen es schafften, trotz jener Stigmatisierung ein schauspielerisches Team zu bilden, in dem sie eigene Mobbing-Situationen überwanden und letztendlich zu dieser Leistung fähig sind, lässt mich hoffen, dass sie ein Teil dieser Kraft und das Selbstbewusstsein, etwas Wertvolles schaffen zu können, mit ins eigene Leben nehmen. Ich habe junge Menschen gesehen, die mit ganzem Herzen und einer unwahrscheinlichen Energie bei der Sache gewesen sind und stolz auf das Erschaffene sein dürfen. Zitate aus Briefen, letzte Gedanken eine Stunde vor der Hinrichtung der Opfer, vorgetragen auch vor deren Angehörigen am Ort des damaligen Geschehens, trieben nicht nur mir die Tränen in die Augen. Ein wichtiges Stück in Tagen, in denen die Rufe nach Todesstrafen laut geworden sind, ein berührende und wertvoller Beitrag in einer Zeit, deren Menschen ihre Werte neu definieren sollten. Alle Beteiligten, sowohl die jungen Darsteller als auch die Macher dahinter haben meinen tiefen Respekt, wie auch die Opfer jener und dieser Tage.