An den Tag, an dem ich in Frankfurt meiner Arbeit nachging und mich ein Freund aus Stockholm anrief, kann ich mich sehr gut erinnern. Fassungslos erzählte er mir von den Bildern, die er gerade im Fernsehen sah, von Flugzeugen, die in Wolkenkratzer flogen, von den Anschlägen in New York. Für mich war das alles in dem Moment wenig greifbar und fast unglaublich. Den Worten zuhörend glaubte ich eher an eine schlechte Erzählung. Als dann aber plötzlich auch am Main Sirenen einsetzten, beschlich mich ein beklemmendes Gefühl, nicht wissend, ob ich mich gerade in ähnlicher Gefahr befand und ob in diesen Momenten vielleicht eine weltweite Aktion gegen die Kathedralen der Macht stattfand. Abends dann saß ich in einem kleinen Hotel und sah mir während einer schlaflosen Nacht die Bilder aus den USA an. Schon in die Morgenstunden waren sie mit dem ergreifenden Enya-Soundtrack „Only Time“ aufbereitet und begleitet von Phrasen wie „Nichts wird je wieder sein, wie es einmal war“. Mich erschütterten die Bilder und befremdete der Gedanke, dass innerhalb kürzester Zeit aus schlimmsten Ereignissen eine mediale Show inszeniert wurde. Und ich fragte mich, ob wirklich nichts mehr ist, wie es einmal gewesen war, oder ob die Konflikte unserer Zeit einfach nur sichtbarer geworden sind, weil sie sich auf „unser“ Terrain verlegt hatten. Dennoch schockierten mich die Bilder und allerspätestens jetzt war die Idee einer besseren Zeit, auf die viele Menschen nach dem Kalten Krieg gehofft hatten, wohl mit den Opfern gestorben.
Nur wenige Tage später saß ich zum Frühstück in einem Hotel in Brüssel. In der Nacht hatten die Angriffe des Westens auf Afghanistan begonnen. Und wieder war ich schockiert, dass unserer Wertegemeinschaft nichts anderes einfiel, als tausendfachen Tod mit noch mehr Opfern zu vergelten - und dass die Menschen an den Tischen um mich herum das völlig okay fanden. In Europa müssten wir wissen, was Krieg aus uns macht und wie spürbar er auch noch in den nachfolgenden Generationen ist, in den USA, nach den sinnlosen Interventionen der Vergangenheit, die vielen amerikanischen Familien Leid gebracht haben, eigentlich auch… Krieg hat noch nie etwas anderes erzeugt, als neue Wunden - und Hass, durch die in zynischster Weise hingenommenen „Kollateralschäden“ von Tausenden auf offener Straße ermordeter Zivilisten, bis hin zu verseuchten Landstrichen und Folterungen. Mit ein paar Dollar „Entschädigung“, sofern es sie überhaupt gibt, lässt sich ein „versehentlich“ ausgelöschtes Leben sicher nicht wiedergutmachen. Ich denke, dass wir in der westlichen Welt noch vieles von dem zu spüren bekommen, was in unserem Namen in diesem und weiteren Kriegen angerichtet worden ist, von Fluchtbewegungen bis hin zu Terroranschlägen. So lange wir aber diesen Teil der Wahrheit ignorieren und - schlimmer noch - Menschen, die auf Verbrechen, die in „unserem“ Namen begangen werden, hinweisen, ins Gefängnis stecken oder ins Exil treiben, wird eine ehrliche Auseinandersetzung mit unseren Fehlern nicht möglich sein und wir erst recht keine Versöhnung erleben. Vielleicht war die aber auch nie unser Ziel…
Diese Gedanken griffen wir damals mit Fauxpas in unserem Song „11-09“ auf. Es war im Jahr 2004 die Anfrage einer Initiative von Fans der Böhsen Onkelz, die uns bewegte, diesen Song für den Sampler „Rock für Peru“ aufzunehmen. Er wurde schließlich ein Jahr später zum Abschiedskonzert der Onkelz auf dem Lausitzring veröffentlicht. Seine Erlöse kamen „Casa de Milagros“(heute "Ninos del Sol" ) zugute, einem Projekt, das Straßenkindern in Peru ein Zuhause und Bildung zukommen lässt. Für mich schloss sich damit endlich ein sinnvoller Kreis um den Auslöser und den Zweck unserer Aufnahmen. Bildung, Zuwendung, Liebe, Anerkennung und vor allem eine Perspektive werden mehr bewirken, als jegliche, tödliche Gewalt…
Der Sampler ist lange schon vergriffen, aber seit heute ist unser Beitrag „11-09“ digital verfügbar,
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