Viele Menschen erlebe ich als verunsichert, traurig und wütend. Das dürfen wir in einer Zeit, in der die Welt für viele von uns ins Wanken geraten ist, durchaus auch sein. Meine eigene ist seit Jahren diesbezüglich sehr beweglich und vielleicht bin ich gerade deshalb momentan eher ruhig unterwegs. Lange war ich wütend auf unsere durchökonomisierte Gesellschaft, die so viel Wertvolles übergeht, die Gutes verschlingt und einigen von uns ihrer Identität beraubt, die Existenzen nimmt oder sie gar nicht erst ermöglicht - und ich war wütend auf die Bedingungen des Musikbusiness im Speziellen.
Wie oft habe ich in den vergangenen zehn Jahren den ganzen Kram hinwerfen wollen? Die Auftritte ließen sich leicht zählen, über die Wirtschaftlichkeit der Unternehmungen wollte ich lange Zeit lieber nicht nachdenken. Sie war ohnehin nie der Grund meines Antriebs für Musik und Worte, sondern eher ein auferlegter Rahmen, in dem ich mich irgendwie bewegen musste. Gerne denke ich noch an die Zeit, in der meine Band und ich von Motorradclubs zu Konzerten eingeladen wurden und bedauere, dass es heute immer schwieriger wird, Auftrittsorte zu finden, an denen vor allem unbekannte Künstler sich präsentieren können, ohne dass sie sich in die völlige Aufopferung und den finanziellen Ruin treiben. In einer Welt, die einer dringenden Erneuerung bedarf, geht es nicht nur Musikern so. An welchen Dingen also halte ich unbedingt fest? Welche Ressourcen sind vielleicht anderswo besser angelegt, vor allem, wenn sich eine gewisse Müdigkeit bereits eingeschlichen hat und manches nach Abschied riecht? Aber gerade, wenn einem der Atem ausgegangen ist, lohnt es sich vielleicht, an anderer Stelle noch einmal sehr viel intensiver Luft zu holen. Ein Loslassen und Verabschieden von Träumen und Vorstellungen kann den Raum für Neues schaffen - für die Dinge, deren Sinn und Freude sich beim Tun erschließen. Oft reicht „ein bisschen Leben“ schon aus - ohne den Olymp erklimmen zu wollen und das ganz große Ziel vor Augen zu haben -, um sich an einem Abend besser zu fühlen.
Ich blicke auf die vergangenen Jahre, sehe diejenigen, die gerne mit mir gearbeitet und dabei viel Zeit, auch Geld und vor allem Ihre Fähigkeiten und Kreativität investiert haben. Mit diesen guten Menschen etwas geschaffen zu haben, selbst wenn es kurzlebig war und an der Vermarktung gescheitert ist, bedeutet mir sehr viel. Ausnahmslos würde ich das mit jeder und jedem noch einmal tun. Diese Momente führe ich mir vor Augen, wenn ich an Scheitern und vermeintliche Perspektivlosigkeit denke. Es gibt keinen Groll im Blick zurück. Ich bin müde, aber nicht orientierungslos. Im besten Falle bleibt mein Leben der Musik verbunden.
Ein Kürzertreten in den Vorstellungen, ein Sortieren der Prioritäten muss kein endgültiger Abschied von der Bühne oder der Kunst sein. Ganz im Gegenteil. Es darf außerhalb jeglicher Erwartungen noch immer vieles entstehen und zu zwischenmenschlicher Rendite führen. Die meisten Menschen, die ich kenne, tragen verdammt viel Potenzial in sich, viel Schaffenskraft und Kreativität, in welchen Jobs auch immer sie unterwegs sind. Ich persönlich freue ich mich auf Begegnungen mit ihnen und auf neue Projekte. Denn beim Verlieren darf - bei aller Trauer und Wut, die gespürt werden will - eben auch sehr viel gewonnen werden...
Ich wünsche uns allen einen erträglichen Platz, an dem wir gut existieren und uns hoffentlich weiterhin in die Augen schauen können. Auf ein zauberhaftes Jahr 2022, in dem jede Stunde zählt…