Horrornächte im Filmpark Babelsberg

Wenn eine Agentur zum Casting für eine Horrorshow einlädt, habe ich erst einmal überhaupt keine Erwartungen, zumal das Gruselfilm-Genre nicht unbedingt mein bevorzugtes ist. Halloween-Verkleidungsorgien ging ich bis dato erfolgreich aus dem Wege, allenfalls bewunderte ich die Kunst von fabelhaft geschminkten Filmleichen (wie in Hundswut) und zog dort ehrfurchtsvoll Hüte vor jenen anspruchsvoll gestalteten Werken.


Auf jeden Fall ist es lange her und lag irgendwo zwischen der Spätpubertät und einer bis heute nicht gänzlich abgeschlossenen Adoleszenz, dass ich mir zusammen mit meinen Metal-Kumpels Horror-, Splatter- und Trash-Streifen am Fließband reingezogen habe - und bis heute frage ich mich, welcher Teil meiner Verhaltensstörung dem eigentlich zuzuordnen ist. Na klar stelle ich selbst gerne mal den Kranken, den Perversen, den Lobotomierten und Teil-Hirnamputierten dar, aber ob ich das an acht Abenden in stundenlangem Improvisationstheater im Menschengewühl haben musste, war mir erst einmal gar nicht so klar. Denn eigentlich mag ich es kleiner, intimer, subtiler und mittlerweile eher ohne die üblichen Show-Verpackungen. Irgendetwas Unterschwelliges trieb mich jedoch dazu, den Job anzunehmen und die Verpflichtung auf einem Terrain einzugehen, auf dem ich mich in dieser Form so gar nicht auskannte (das Geld war es sicher nicht, die heutigen gesetzlichen Abrechnungsmodelle für Darsteller sind ohnehin ein bescheidenes Thema für sich...). Klar war nur, dass, wenn in meinem Leben noch etwas Wesentliches geschehen soll, dieses mit irgendeiner Kunstform zu tun haben wird. Und wahrscheinlich kann dies alles Mögliche, aber selten wird es „normal“ sein. Grusel, Horror, Ängste und Panik sind ohnehin lediglich der Ausdruck des Alltags, den ich in meinen Eingeweiden oft genug als höllisch empfinde, als sehenden Ritt in irgendein Inferno, welches mir immer wieder auf den Leib rückt. In dieser Welt fühlt sich für mich wenig gut und überhaupt nichts normal an. Schaue ich auf unsere Perversionen, die wir einander entweder unterschwellig oder in offener Feindschaft antun, bringt es mich ohnehin und einmal mehr zur Erkenntnis, dass wir jenseits schillernder Welten und abseits aller ersehnten Sicherheiten leben - und mit den Wünschen nach jenen lediglich irgendwelche Angstverkäufer große (Kriegs-)Kasse machen.

Habe ich also mit der Horror-Darstellung einen Konflikt in mir, weil ich mehr echtes Blut und Tod in meinem Leben gesehen habe, als ich ertragen konnte? Was spricht gegen das kleine Abenteuer in den Labyrinthen des Filmparks? Durch die Arbeit der letzten Wochen kam ich nicht zum umfangreichen Nachdenken und Ausloten der Gefühlswelt. Plötzlich stand ich nach einem Schmink-Schnellkurs mit Wattebausch und Puderpinsel in der Hand und tat, was ich sonst eher bei den maskenbildenden Gewerken oder meinem Kind gut verortet wusste. Manchmal muss man sich scheinbar den Dingen einfach hingeben und mit etwas professionellem Abstand würde ich das schon irgendwie machen. „Nur nicht zu sehr auf das alles einlassen, nur so viel wie nötig tun, um darstellerisch überzeugend zu sein“, waren die Gedanken zum Vorhaben. Aber Distanz zu einer Sache zu bewahren ist mitunter schwer, vor allem, wenn man sich mitten in ihr befindet. Wenn plötzlich Leute um einen herum sind, die das ganze Ding leben und denen diese Events so wichtig sind, dass sie sich ein Jahr lang wie wahnsinnig darauf freuen. Menschen, die mit viel Liebe zum Detail an sich und der Show arbeiten und Individualisten, in denen man plötzlich jenen schrägen Typen sieht, als der man selbst innerlich noch immer unterwegs ist. Liebenswerte Gestalten also, die mit entstellten Gesichtern und abenteuerlichen Kostümen in der Nacht losgelassen werden, um den Leuten einen Schrecken zu verpassen, ihnen aber auch das ein oder andere Lächeln und vor allem Anerkennung der Leistungen zu entlocken. Und wenn in meinem direkten Umfeld schon ab der ersten Minute so positiv bekloppt losgelegt wird, dass es einen selbst nur ansteckt, dann macht es irgendwann einfach nur noch Spaß, ein Teil dieses so nebulös wie farbenprächtigen Ganzen zu sein - auf einer nun anderen Bühne, die sich mittendrin und nicht in frontaler Abgeschlossenheit befindet. Ich war dankbar für eine Energie, die ich selten spüre, die aber meistens abrufbar ist, wenn es an die Berufung geht. Spätestens, als ich an einem der Wochenenden krankheitsbedingt aussetzen musste und merkte, wie sehr es mich ankotzte, nicht losfahren zu können, weil mir plötzlich etwas fehlte, war mir klar, dass dieses Ding eben doch nicht nur ein Job ist.

Was soll ich noch schreiben, außer, dass sie mir ans Herz gewachsen sind, diese Monster und dass die Tränen des Abschieds mich sehr berührt haben. Und dennoch bleiben mir ein paar Gedanken, die ich einfach nicht abstellen kann und möchte: Wie eh und je finde ich es wichtig, dass wir kulturelle Plätze haben, in denen wir unseren Emotionen einen Raum geben können. In denen unsere Ängste, unsere Trauer, unser Zorn, unsere Fantasien, Sehnsüchte und unsere Freude stattfinden kann. Räume, in denen wir mit all dem nicht allein sind, die es aber im Leben oft nicht mehr gibt. Auch die Horrornächte waren und sind für mich solche Orte. Dass sie an jedem Abend ausverkauft waren, zeugt sowohl von Interesse, als auch von Wertschätzung für die dort stattfindenden Geschichten. Und bis auf ein paar wenige Widerwärtige, die Menschen sexuell belästigt haben, war an den Abenden ein fantastisches, weil größtenteils begeistertes und auch dankbares Publikum zugegen. Dies ist der größte Lohn, den jede Künstlerin und jeder Künstler mitnimmt. Dafür stehen wir in der Regel auf, das ist der beste Grund, immer weiter zu machen. Dennoch läuft vieles schief im Kulturbereich, einerseits aufgrund politischer Entscheidungen, aber auch weil – wie ich denke – sich in der Wahrnehmung vieler Menschen die Prioritäten verschieben. Mir blieb die Armut einiger Darsteller nicht verborgen, die sich bei vollbrachter Höchstleistung kein simples, aber teures Halsbonbon aus der Apotheke leisten konnten. Da läuft gehörig etwas schief in unserer Gesellschaft und ich bin noch lange nicht bereit, das so zu akzeptieren. Nicht nur, weil ich mich selbst in der Bredouille aufhalte, sondern weil ich davon überzeugt bin, dass Kunst und Kultur weder ausschließlich Unterhaltung oder gar Ablenkung sind, sondern die Essenz, um den wirklichen Wahnsinn in der Welt zu überstehen. Das sollte uns viel mehr, mindestens aber ein Grundeinkommen ohne Wenn und Aber wert sein. Vor allem aber sollten wir es uns wert sein, dass wir uns miteinander beschäftigen, dass wir uns schätzen und den uns oft unbekannten Lebenswelten „der Anderen“ zuwenden. Erst das kann uns verstehen lassen und wieder ein Stück zueinander führen. In unserem Fall geht es um Zugeständnisse, auch an jene, welche Werte schöpfen, die „nur“ die Seele massieren. Diese Gewinne sind abseits von Renditen so wertvoll, wie ich selbst jegliche Arbeit eines jeden Menschen schätze, die nicht an der Zerstörung unserer Lebensräume und sozialen sowie humanistischen Systemen mitwirkt. Es wird nie einfache Lösungen geben, aber ich möchte positiv und wertschätzend bleiben und weiterhin mit dem für Andere da sein, was ich am Besten kann. Die Gefahr, dass wir verrohen, ist schon wieder oder noch immer verdammt groß. Wo es hinführen kann, sehen wir an verschiedenen Orten dieser Welt. Den nächsten Horror aber würde ich gerne wieder im Filmpark erleben - und nicht auf den Schlachtfeldern des Planeten.

Was bleibt und was ich mitnehme, ist jedoch überwiegend positiv, wofür ich mich von Herzen bei allen Beteiligten bedanke. Ich freue mich über Jede und Jeden von Euch, die oder den ich ein Stück weit kennenlernen durfte. Es war eindrucksvoll, es hat Spaß gemacht, es hat für Momente verbunden. Ich freue mich, wenn es eine Weile anhält. Euch allen einen guten Weg… 

 

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